AG Köln, Urteil vom 10. Dezember 1987, 128 C 32/87

AG Köln, Urteil vom 10. Dezember 1987, 128 C 32/87

Beschneiden einer grenznahen Blaufichte im Rahmen des Selbsthilferechts nach § 910 BGB

Gericht

AG Köln


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

10. 12. 1987


Aktenzeichen

128 C 32/87


Leitsatz des Gerichts

Klagt der Eigentümer eines Baumes auf Schadensersatz, weil der Nachbar die überhängenden Zweige abgeschnitten hat, muss er darlegen und beweisen, dass der Überhang den Nachbarn nicht beeinträchtigt hat.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger dürfen die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von DM 950,00 abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand


Tatbestand:

Die ungeteilte Erbengemeinschaft M. (Kläger) ist Eigentümerin des Grundstücks … . Unmittelbare Nachbarn sind die Beklagte. Die Grenzlinie zwischen den beiden Grundstücken der Parteien verläuft von Nord nach Süd.

Auf dem Klägergrundstück, unmittelbar am Zaun des Grundstücks der Beklagten, befindet sich seit zwanzig Jahren eine Blaufichte. Diese ist ca. acht Meter hoch und hat in der Höhe von einem Meter einen Stammumfang von ca. 75 cm. Vom Stammmittelpunkt aus gesehen, befindet sie sich 42 cm von der Grundstücksgrenze der Beklagten entfernt. Es handelt sich um eine gutgewachsene Fichte mit gleichmäßig gestufter Seitenbeastung und gesundem Nadelwerk.

Mit Schreiben vom 31.10.1985 forderten die Beklagten die Kläger auf, die Fichte bis zur Grundstücksgrenze bis in die Höhe beizuschneiden, daß der Lichteinfall in ihr Grundstück nicht mehr behindert werde. Am 31.12.1985 forderten die Beklagten die Kläger erneut auf, die störenden Äste bis zum 31.1.1986 zu beseitigen. Doch auch auf diese Aufforderung reagierte die Klägerin nicht. Daraufhin wurde der Baum bis in eine Höhe von vier Meter beschnitten, wobei 30-50 cm lange Stümpfe übrigblieben, aus denen die Fichte nicht wieder austreiben kann.

Die Klägerin behauptet, die Fichte stehe dort im Einvernehmen der Parteien seit zwanzig Jahren; durch das Zurückschneiden der Äste durch die Beklagten in einer Höhe von bis zu vier Metern sei der Wert des Baumes um 40% gemindert; im übrigen sei das Erscheinungsbild dauerhaft gestört. Sie sind der Ansicht, die Fichte unterliege der Baumschutzverordnung und dürfe daher ohne vorherige Zustimmung der Behörde nicht außer Verhältnis beschnitten werden; erst recht seien dazu nicht die Beklagten berechtigt gewesen und hätten sich dadurch ersatzpflichtig gemacht. Weiterhin behaupten die Kläger, von der Fichte sei nur ein vorübergehender, geringfügiger Schattenfall auf das Grundstück der Beklagten gegeben; daher seien auch im Wuchsbild der Pflanzen nur ganz unerhebliche Spuren zu finden. Sie behaupten ferner, der durch den unsachgemäßen Rückschnitt entstandene Schaden betrage DM 4 030,75.

Die Kläger beantragen,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie zur gesamten Hand DM 4 030,75 nebst 4% Zinsen ab dem 2. Dezember 1986 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie behaupten, den Gartenbaumeister B bestellt zu haben, die Äste zurückzuschneiden; der Baum habe so starke Schatten geworfen, daß das gesamte Grundstück einschließlich der Terrasse stark beschattet sei; die Beeinträchtigungen seien so erheblich, daß im weiten Umkreis der Fichte nichts mehr wachse. Sie sind der Ansicht, in erlaubter Selbsthilfe i.S.d. § 910 BGB gehandelt zu haben; dem stehe weder eine Baumschutzverordnung, noch das Schikaneverbot aus § 226 BGB entgegen.

Das Beweissicherungsverfahren 127 H 8/86 wurde zu Beweiszwecken beigezogen.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die Kläger haben gegen die Beklagten als Gesamtschuldner keinen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 4 030,75 DM aus §§ 823 I, 840 I BGB. Zwar ist den Klägern durch das Zurückschneiden der überhängenden Äste objektiv eine Eigentumsverletzung entstanden. Die Beklagten waren aber zu dieser Maßnahme berechtigt. Gemäß § 910 Abs. 1 BGB darf nämlich der Eigentümer eines Grundstücks vom Nachbargrundstück herüberragende Zweige abschneiden, wenn er dem Besitzer desselben vergeblich eine angemessene Frist zur Beseitigung gesetzt hat. Die am 31.12.1985 dies erhalten nach bereits am 31.10.85 vorangegangener Aufforderung gesetzten Frist bis zum 31.1.66 war durchaus angemessen lang, um den Klägern die Beseitigung der überhängenden Äste zu ermöglichen.

Das Recht der Beklagten aus § 910 Abs. I S. 2 BGB scheitert auch nicht etwa daran, daß die Benutzung des Grundstücks durch die überhängenden Äste nicht beeinträchtigt worden wäre. Das Nichtvorliegen einer solchen Beeinträchtigung, für das die Kläger gemäß § 910 Abs. 2 BGB die Beweislast tragen, kann nämlich gerade nicht festgestellt werden. Aus dem Sachverständigengutachten der beigezogenen Beweissicherungsakte geht hervor, daß das Wuchsbild der Pflanzendecke beeinträchtigt ist und daß ein Schattenfall auf das Grundstück gegeben ist. Dieser Schattenfall alleine stellt schon eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung dar, der im Zusammenhang mit den Beeinträchtigungen im Wuchsbild der Pflanzendecke nicht hinzunehmen ist. Es kann auch nicht die Rede davon sein, daß das Abschneiden der Äste eine Schikane darstellt, denn § 226 BGB setzt voraus, daß die Handlung alleine den Zweck hat, einen anderen zu schädigen. Das liegt hier nicht vor. Auch steht der Ausübung des Rechts durch die Beklagten keine Baumschutzverordnung entgegen. Diese dienen nur dazu, alten und wertvollen Baumbestand vor Beschädigungen und Zerstörungen zu schützen, tritt aber hinter § 910 BGB zurück.

Auch eine mögliche Umweltbeeinträchtigung kann dem Selbsthilferecht aus § 910 BGB nicht entgegengehalten werden. Diese Behauptung findet im Gesetz zur Zeit noch keine Stütze.

Es kann den Beklagten auch nicht vorgehalten werden, daß sie ihr Recht nicht hätten ausüben dürfen, sondern sich zunächst auf § 1004 BGB hätten berufen müssen. Dann wäre das Selbsthilferecht aus § 910 BGB völlig überflüssig.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch gegen die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung von DM 4 030,75 aus § 823 II, 840 I BGB i.V.m. § 303 I StGB.

Die Beklagten handelten nicht rechtswidrig, da ihnen das Selbsthilferecht aus § 910 BGB zustand.

Demzufolge hat die Klägerin auch keinerlei Zinsansprüche.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus § 91 I 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Baumanns
Richter am Amtsgericht

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht