BGH, Revisionsurteil vom 14. Juli 1997, II ZR 238/96

BGH, Revisionsurteil vom 14. Juli 1997, II ZR 238/96

Keine geltungserhaltende Reduktion für sittenwidriges nachvertragliches Wettbewerbsverbot im Gesellschaftsvertrag (Tierarztpraxis)

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

14. 07. 1997


Aktenzeichen

II ZR 238/96


Leitsatz des Gerichts

  1. Ein im Gesellschaftsvertrag selbständig praktizierender Tierärzte vereinbartes nachvertragliches Wettbewerbsverbot, nach dem der ausscheidende Gesellschafter „im Umkreis von 30 km vom Sitz der Praxis keinerlei tierärztliche Tätigkeit ausüben“ darf, ist sittenwidrig und nichtig, weil es in zeitlicher, räumlicher und gegenständlicher Hinsicht das notwendige Maß überschreitet.

  2. Ein derart die Berufsausübungsfreiheit einschränkendes Wettbewerbsverbot kann nicht in entsprechender Anwendung des § 139 BGB in der Weise aufrechterhalten werden, daß das Gericht an Stelle der Betroffenen festlegt, mit welchen zeitlichen, räumlichen und gegenständlichen Grenzen das Verbot gilt.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien sind Tierärzte. Nachdem der Kl. zu 1 und der Bekl. bereits früher ihren Beruf in einer Gemeinschaftspraxis in E. ausgeübt hatten, haben sie mit Wirkung vom 2. 1. 1992 den Kl. zu 2 in diese Praxis aufgenommen. Im Laufe des Frühjahrs 1994 kam es zu Unstimmigkeiten, die den Bekl. veranlaßt haben, das Gesellschaftsverhältnis zu kündigen. Zwischen den Parteien besteht jetzt Einigkeit, daß der Bekl. zum 31. 12. 1996 aus der von den Kl. fortgesetzten Gesellschaft ausgeschieden ist. In der Revisionsinstanz besteht nur noch Streit darum, ob der Bekl. ab 1. 1. 1997 einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot unterliegt. In § 16 VI des Gesellschaftsvertrages vom 13. 2. 1992 ist bestimmt: „Der scheidende Partner verpflichtet sich, im Umkreis von 30 km vom Sitz der Gemeinschaftspraxis keinerlei tierärztliche Tätigkeit auszuüben.” Die Kl. haben unter Berufung auf diese Bestimmung den Bekl. im Wege der einstweiligen Verfügung auf Beachtung dieses Wettbewerbsverbots in Anspruch genommen. Das OLG hat dem Begehren nur für die Zeit bis zum Ausscheiden des Bekl. (31. 12. 1996) entsprochen. In dem vorliegenden Rechtsstreit haben die Kl. – neben anderen inzwischen rechtskräftig erledigten Ansprüchen – von dem Bekl. Unterlassung tierärztlicher Tätigkeit für die Dauer von drei Jahren ab 1. 1. 1997 in einem Umkreis von 10 km – hilfsweise 6,5 km – vom Sitz der Gemeinschaftspraxis verlangt.

Vor dem LG hatten sie keinen Erfolg; das BerGer. hat den Bekl. verurteilt, es zu unterlassen, für die Dauer von zwei Jahren ab 1. 1. 1997 als Tierarzt selbständig oder unselbständig in einem näher beschriebenen Umkreis von 6,5 km um die Ortsmitte von E. zu praktizieren. Die – zugelassene – Revision des Bekl. war begründet und führte im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des den Unterlassungsanspruch abweisenden Urteils des LG.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das BerGer. angenommen, das in § 16 VI des Gesellschaftsvertrages niedergelegte Wettbewerbsverbot sei nach § 138 BGB sittenwidrig. Damit befindet es sich in Übereinstimmung mit der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Diese läßt mit Rücksicht auf die vor allem bei der Auslegung der zivilrechtlichen Generalklauseln zu beachtenden Wertentscheidungen der Verfassung – hier des Art. 12 I GG – Wettbewerbsbeschränkungen nur zu, wenn sie örtlich, zeitlich und gegenständlich das notwendige Maß nicht überschreiten. Ihre Rechtfertigung findet die wettbewerbsbeschränkende Abrede allein in dem anerkennenswerten Bestreben des von ihr begünstigten Teils, sich davor zu schützen, daß der andere Teil die Erfolge seiner Arbeit illoyal verwertet oder sich in sonstiger Weise zu seinen Lasten die Freiheit der Berufsausübung mißbräuchlich zunutze macht; soweit dieses Interesse nicht betroffen ist, beschränken derartige Abreden die Freiheit der Berufsausübung unangemessen und sind sittenwidrig (vgl. BGHZ 91, 1 (5f.) = NJW 1984, 2366 = LM § 35 GmbHG Nr. 18; Senat, NJW 1968, 1717 = LM § 138 (Cf ) BGB Nr. 5; BGH, NJW 1978, 1605 – Frischbeton; Senat, NJW 1986, 2944 = LM § 138 (Cf ) BGB Nr. 14 = WM 1986, 1251; BGH, NJW-RR 1990, 800 = LM § 139 BGB Nr. 69 = JR 1990, 20; Senat, NJW 1991, 699 = LM § 112 HGB Nr. 5 = WM 1990, 2121; BGH, NJW 1994, 384 = LM H. 3/1994 § 1 GWB Nr. 46 – Ausscheidender Gesellschafter; Senat, NJW-RR 1996, 741)..

2. Das von den Parteien vereinbarte Wettbewerbsverbot hält der nach diesen Maßstäben anzustellenden Prüfung schon deswegen nicht stand, weil es zeitlich keinerlei Einschränkungen enthält und damit für den Bekl. ein lebenslanges Verbot enthält, in einem Radius von 30 km um den Sitz der Gemeinschaftspraxis seinen Beruf als Tierarzt auszuüben. Obendrein ist – wie das BerGer. ebenfalls richtig erkannt hat – das Gebiet, auf das sich dieses Verbot tierärztlicher Berufsausübung erstreckt, unangemessen weit ausgedehnt. Beide Regelungen zusammen sind geprägt von dem Willen, den ausgeschiedenen Gesellschafter für immer als Konkurrenten auszuschalten und ihn zu zwingen, das Gebiet zu verlassen, in dem er seinen beruflichen und persönlichen Lebensmittelpunkt hatte, sofern er weiterhin in seinem Beruf tätig bleiben will. Dieser nachhaltige Eingriff in die grundgesetzlich verbürgte Freiheit der Berufsausübung des Bekl. ist auch unter Berücksichtigung der besonderen Struktur einer ländlichen Tierarztpraxis nicht gerechtfertigt, zumal sich das Wettbewerbsverbot nicht allein auf die bereits vorhandenen Kunden der Gemeinschaftspraxis, sondern auch auf alle weiteren Personen in dem genannten Raum erstreckt, die zu irgendeinem Zeitpunkt tierärztliche Hilfe für ihre Groß- und Kleintiere benötigen.

3. a) Das BerGer. hat allerdings gemeint, die von ihm zutreffend für sittenwidrig gehaltene Wettbewerbsregelung des Gesellschaftsvertrages sei nicht nach § 138 BGB nichtig, sondern könne bei Herabsetzung der zeitlichen und Verringerung ihrer räumlichen Geltung in entsprechender Anwendung von § 139 BGB aufrechterhalten werden. Hiergegen wendet sich die Revision mit Recht. Der Senat hat allerdings in Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zur überlangen Dauer von Bierbezugsverträgen (vgl. BGH, NJW 1972, 1459 = LM § 138 (Bb) BGB Nr. 34; w. Nachw. bei Paulusch, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Brauerei- und GaststättenR, 9. Aufl. (1996), Rdnrn. 143ff.) wiederholt ausgesprochen (vgl. Senat, NJW 1991, 699 = LM § 112 HGB Nr. 5 = WM 1990, 2121 (2222f.); Senat, NJW-RR 1996, 741 (742); vgl. ferner BGH, NJW 1994, 384 (386) = LM H. 3/1994 § 1 GWB Nr. 46; Staub/Hüffer, HGB, 4. Aufl., Vorb. § 22 Rdnr. 35; Staudinger/Sack, BGB, 1996, § 138 Rdnrn. 109ff., 312 m.w. Nachw.; Canaris, in: Festschr. f. Steindorff, S. 519ff. (536ff.); krit. Lammel, AcP 189 (1989), 244 (259f., 285f.); Hirte, ZHR 154 (1990), 443 (459f.)), eine zeitlich unbegrenzte Wettbewerbsbeschränkung könne im Wege der geltungserhaltenden Reduktion auf das noch zu billigende Maß zurückgeführt werden. Dabei ist die Vorstellung bestimmend, die auf Dauer angelegte Beziehung sei derart in Teilabschnitte zu zerlegen, daß sie sich als Teile eines ganzen Vertrages i.S. des § 139 BGB darstellen – mit der Folge, daß sie bei einem entsprechenden Parteiwillen mit einer kürzeren, nicht zu beanstandenden Laufzeit aufrechterhalten bleiben (vgl. Senat, NJW 1991, 699 = LM § 112 HGB Nr. 5 = WM 1990, 2121 (2123) m.w. Nachw.). Ähnlich wie bei der zeitlichen Überdehnung des Wettbewerbsverbots soll nach einer im Schrifttum vertretenen Ansicht (vgl. Hirte, ZHR 154 (1990), 443 (459f.); Melullis, WRP 1994, 686 (691f.); Traub, WRP 1994, 802 (806)) bei der zu weitgehenden räumlichen Erstreckung der Beschränkung die lediglich quantitative Überschreitung in Teilabschnitte zerlegbar sein, so daß auch eine wegen Mißachtung der räumlichen Grenzen sittenwidrige Wettbewerbsbeschränkung nicht nichtig, sondern verkürzt auf das angemessene Maß aufrechterhalten werden kann.

b) Ob dieser auch dem angefochtenen Urteil zugrundeliegenden Auffassung gefolgt werden kann, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Denn es geht nicht allein um die Korrektur quantitativer Überschreitungen der anzuerkennenden Grenzen eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots, was sich schon daraus ergibt, daß sich das BerGer. nicht nur auf eine Verkleinerung des für das Wettbewerbsverbot maßgeblichen Radius beschränkt, sondern aufgrund einer Wertung den derart verkleinerten räumlichen Bereich weiter korrigiert hat.

In der bisherigen, eine nur quantitativ wirkende Nichtigkeit anerkennenden Rechtsprechung der verschiedenen Senate des BGH ist stets ausgesprochen worden, daß die genannte geltungserhaltende Reduktion ihre Grenze dort findet, wo die Sittenwidrigkeit einer wettbewerbsbeschränkenden Regelung nicht allein in der zeitlichen Ausdehnung liegt, sondern weitere zur Anwendbarkeit des § 138 BGB führende Gründe hinzutreten (vgl. z.B. Senat, NJW 1986, 2944 (2945) = LM § 138 (Cf ) BGB Nr. 14; Senat, NJW 1991, 699 = LM § 112 HGB Nr. 5 = WM 1990, 2121 (2123); BGH, LM § 138 (Bb) BGB Nr. 35; ferner Paulusch, Rdnrn. 148ff. m.w. Nachw.). Dann nämlich geht es nicht mehr lediglich darum, eine bloß quantitativ zu weitgehende, im übrigen aber von dem anzuerkennenden Willen der Parteien getragene Regelung auf das zulässige Maß zurückzuführen. Vielmehr müßte bei einer nicht bloß aus der quantitativen Überschreitung der zulässigen Grenzen hergeleiteten Sittenwidrigkeit das Gericht auf den übrigen Inhalt des sittenwidrigen Geschäfts rechtsgestaltend einwirken, um den Einklang mit der Rechtsordnung herzustellen. Das überschreitet nicht nur den den Gerichten eingeräumten Gestaltungsspielraum (vgl. Flume, Allg. Teil des BGB, das Rechtsgeschäft, 3. Aufl., § 9 Fußn. 78, S. 389, und § 32, Fußn. 6 S. 582; ferner Lammel, AcP 189 (1989), 244 (256ff., 286)), weil – wie die gerichtliche Praxis zeigt – die unterschiedlichsten Regelungen denkbar sind, um z.B. einen sachgerechten, die verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen berücksichtigenden Interessenausgleich zwischen dem aus einer Freiberuflersozietät ausscheidenden und den verbleibenden Gesellschaftern herbeizuführen. Es widerspricht auch dem mit § 138 BGB verfolgten Zweck, den Betroffenen das Risiko zuzuweisen, daß eine zwischen ihnen getroffene Vereinbarung sittenwidrig und nichtig ist (vgl. BGHZ 68, 204 (206f.) = NJW 1977, 1233 = LM § 138 (Bb) BGB Nr. 40 L; Senat, NJW 1986, 2944 (2945) = LM § 138 (Cf ) BGB Nr. 14).

c) Ein solcher Fall liegt hier vor. Entgegen der Ansicht des BerGer. ist das Wettbewerbsverbot des § 16 VI des Gesellschaftsvertrags nicht nur wegen Überschreitung der zeitlichen und räumlichen Grenzen, sondern auch deswegen sittenwidrig, weil es dem Gegenstand nach das zulässige Maß weit überschreitet. Dem ausscheidenden Sozius wird nämlich entgegen der Meinung der Kl. nicht lediglich eine konkurrierende Tätigkeit zu der Gemeinschaftspraxis verboten, vielmehr umfaßt die Regelung nach ihrem zweifelsfreien Wortlaut jede Ausübung des Tierarztberufes. Dementsprechend haben die Kl. von dem Bekl. verlangt, jegliche tierärztliche Tätigkeit in den von ihnen im Laufe der beiden Rechtsstreitigkeiten eingeschränkten zeitlichen und räumlichen Umfang zu unterlassen. Danach dürfte der Bekl. nicht im staatlichen oder kommunalen Veterinärwesen – z.B. einem Veterinäramt oder einem Schlachthof – tätig sein oder in einem abhängigen Dienstverhältnis, etwa für einen Tierzüchter, einen Pferdesportverein bzw. -verband oder für eine Fachklinik tierärztliche Leistungen erbringen. Diese Einschränkung wirkt dabei um so einschneidender, als sich das Verbot – wie bereits bemerkt – nicht nur auf die tierärztliche Betreuung von bisherigen Kunden der Kl. erstreckt, sondern jeden potentiellen Klienten betrifft. Auch in dieser Überschreitung der gegenständlichen Grenzen eines Wettbewerbsverbots kommt das von § 16 VI des Gesellschaftsvertrags verfolgte Ziel zum Ausdruck, den ausscheidenden Gesellschafter als Konkurrenten auszuschalten und ihm die Perspektive für eine tierärztliche Tätigkeit im Großraum E. außerhalb der Gemeinschaftspraxis zu nehmen. Diese Zielsetzung ist von dem berechtigten Anliegen der verbleibenden Gesellschafter, sich auf Zeit vor illoyaler Ausnutzung der in der Gemeinschaftspraxis erworbenen Kenntnisse und Verbindungen zu schützen, nicht gedeckt und begegnet obendrein Bedenken im Hinblick auf § 723 III BGB, weil diese Gestaltung des Wettbewerbsverbots geeignet wäre, ein Mitglied der Sozietät von der Ausübung seines Kündigungsrechts der gesetzlichen Regelung zuwider abzuhalten.

4. Da nach alledem das vereinbarte Wettbewerbsverbot in mehrfacher Hinsicht sittenwidrig ist und jeder Anhaltspunkt fehlt, welche Regelung im Falle der Unwirksamkeit des § 16 VI des Gesellschaftsvertrags gelten soll (vgl. Staub/Hüffer, Vorb. § 22 Rdnr. 37), ist entgegen der Ansicht des BerGer., welches nicht nur die zeitlichen und räumlichen Grenzen des Wettbewerbsverbots, sondern auch seinen Gegenstand abweichend vom Vertrag bestimmt hat, für eine teilweise Aufrechterhaltung der sittenwidrigen Klausel kein Raum. Weitere tatsächliche Feststellungen kommen nicht in Betracht, der Senat kann deswegen in der Sache selbst entscheiden.

Rechtsgebiete

Wettbewerbsrecht

Normen

BGB §§ 138, 139