BSG, Revisionsurteil vom 26. März 1998, B 12 KR 17/97 R

BSG, Revisionsurteil vom 26. März 1998, B 12 KR 17/97 R

Prämie für Verbesserungsvorschlag – Arbeitsentgelt

Gericht

BSG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

26. 03. 1998


Aktenzeichen

B 12 KR 17/97 R


Leitsatz des Gerichts

Zur Frage, ob die Prämie für einen Verbesserungsvorschlag Arbeitsentgelt ist, wenn sie von einem Fahrzeughersteller an den Beschäftigten eines Vertragshändlers gezahlt wird.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Zwischen den Bet. ist streitig, ob die Bekl. Beiträge zu erstatten hat. Der bei der bekl. Krankenkasse versicherte Kl. ist seit Februar 1989 bei der Beigel. beschäftigt. Diese ist Vertragshändlerin eines Fahrzeugherstellers (AG). Bei der AG besteht eine Betriebsvereinbarung über die Beurteilung und Vergütung von Verbesserungsvorschlägen. Verbesserungsvorschläge können Betriebsangehörige der AG und der Konzernunternehmen sowie Angehörige der Unternehmen einreichen, die mit der Herstellung, Montage, Aufbauherstellung, dem Vertrieb und der Verwendung von Fahrzeugen (auch Kooperationsfahrzeugen) der Marke des Fahrzeugherstellers beauftragt sind. Die Angehörigen der zuletzt genannten Unternehmen können für einen angenommenen Verbesserungsvorschlag eine Prämie erhalten. Im Jahr 1989 war der Kl. im Verkaufsbereich der Beigel. tätig. Im Dezember 1989 reichte er bei der Abteilung Vorschlagswesen der AG einen Verbesserungsvorschlag („Filter nur mit einem Verschlußstopfen„) ein, der von der AG angenommen wurde. Der Kl. erhielt eine Prämie in Höhe von 15296 DM. Die Prämie wurde im September 1992 über die Beigel. ausgezahlt. Die Beigel. führte aus der Prämie Beiträge zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung an die Bekl. als Einzugsstelle ab. Das Finanzamt rechnete bei der Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 1992 die Prämie zu den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit. Der Kl. beantragte daraufhin im August 1993 die Überprüfung der beitragsrechtlichen Beurteilung der Prämie. Die Bekl. stellte fest, daß es sich bei der Prämie für den Verbesserungsvorschlag um sozialversicherungspflichtiges Entgelt handele und lehnte die Erstattung der Arbeitnehmeranteile zum Gesamtsozialversicherungsbeitrag ab.

Das SG hat die Klage abgewiesen. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Die Revision des Kl. blieb ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Der angefochtene Bescheid der Bekl. ist rechtmäßig. Der Kl. hat nach dem allein in Betracht kommenden § 26 II SGB IV keinen Anspruch auf Erstattung der Arbeitnehmeranteile der Beiträge aus der Prämie. Diese Beiträge sind nicht zu Unrecht entrichtet worden. Der Kl. hatte wegen seiner Beschäftigung bei der Beigel. aus seinem Arbeitsentgelt Beiträge zu entrichten. Dies ergibt sich für die Krankenversicherung aus § 226 I 1 Nr. 1 SGB V, für die Rentenversicherung aus § 162 Nr. 1 SGB V und für die Arbeitslosenversicherung aus § 175 I Nr. 1 AFG, das hier ungeachtet seiner weitgehenden Aufhebung zum 1. 1. 1998 durch Art. 82 des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes vom 24. 3. 1997 (BGBl I, 589) für die beitragsrechtliche Beurteilung des vorher liegenden Zeitraums Anwendung findet.

Die Prämie für den Verbesserungsvorschlag ist Arbeitsentgelt. Nach § 14 I SGB IV, der nach § 137a AFG auch für das Arbeitsförderungsrecht gilt, sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden oder ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.

Zu den Einnahmen, die im Zusammenhang mit einer Beschäftigung erzielt werden, gehören auch solche aus selbständigen Tätigkeiten in einem sogenannten einheitlichen Beschäftigungsverhältnis. Ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis wird von der Rechtsprechung angenommen, wenn eine selbständige Tätigkeit mit einer abhängigen Beschäftigung derart verbunden ist, daß sie nur aufgrund der abhängigen Beschäftigung ausgeübt werden kann und insgesamt wie ein Teil der abhängigen Beschäftigung erscheint (BSG, SozR 3-2400 § 14 Nr. 8). Der Kl. hat die Prämie für den Verbesserungsvorschlag im Zusammenhang mit seiner Beschäftigung erzielt, denn sie ist für eine Tätigkeit in einem einheitlichen Beschäftigungsverhältnis gezahlt worden.

Die Art der Verbindung, die zwischen selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung bestehen muß, um ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis annehmen zu können, läßt sich nicht abstrakt für alle selbständigen Tätigkeiten umschreiben. Sie wird vielmehr von der Eigenart der jeweiligen selbständigen Tätigkeit bestimmt. Eine selbständige Tätigkeit im Rahmen eines einheitlichen Beschäftigungsverhältnisses ist regelmäßig die Tätigkeit eines Arbeitnehmers, der im Sinne des Gesetzes über Arbeitnehmererfindung (ArbnErfG) vom 25. 7. 1957 (BGBl I, 756) eine patent- oder gebrauchsmusterfähige Erfindung (vgl. § 2 ArbnErfG) oder einen technischen Verbesserungsvorschlag (vgl. § 3 ArbnErfG) ausarbeitet. Maßgebend ist, daß die Erfindung oder der Verbesserungsvorschlag auch aufgrund der Erfahrungen und Erkenntnisse, die während der Beschäftigung gemacht wurden, möglich geworden und dem Arbeitgeber nützlich ist. Die Vergütungen und Prämien für Erfindungen und Verbesserungsvorschläge von Arbeitnehmern sind dementsprechend seit jeher als Arbeitsentgelt und steuerrechtlich als Arbeitslohn angesehen worden. Sie waren in der Vergangenheit allerdings nach Maßgabe der Verordnung über die steuerliche Behandlung der Vergütungen für Arbeitnehmererfindungen vom 6. 6. 1951 (BGBl I, 388) und der Verordnung über die steuerliche Behandlung von Prämien für Verbesserungsvorschläge vom 18. 2. 1957 (BGBl I, 33) steuer- und gegebenenfalls beitragsfrei (vgl. Brackmann, Hdb. d. Sozialversicherung, Stand: Juni 1982, S. 311). Diese Verordnungen sind jedoch mit Ablauf des Jahres 1989 außer Kraft getreten (vgl. Art. 10 Steuerbereinigungsgesetz 1985 vom 14. 12. 1984, BGBl I, 1493).

Die Tätigkeit bei Arbeitnehmererfindungen oder Verbesserungsvorschlägen braucht nicht weitergehend mit der abhängigen Beschäftigung verbunden zu sein, etwa in der Art, daß sie in diese zeitlich, örtlich, organisatorisch und inhaltlich eingebunden ist, um ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis anzunehmen. Die aus der Beschäftigung im Betrieb gewonnenen Kenntnisse für die Entwicklung des Verbesserungsvorschlags und der Nutzen des Betriebs aus dem Verbesserungsvorschlag sind hinreichend, um die selbständige Tätigkeit und das abhängige Beschäftigungsverhältnis insgesamt als einheitliches Beschäftigungsverhältnis zu werten. Soweit der Senat bei einer Notariatsgehilfin für die gleichzeitig ausgeübte Tätigkeit als Auflassungsbevollmächtigte eine zeitliche, inhaltliche und organisatorische Einbindung in die Beschäftigung als Notariatsgehilfin gefordert hat, um ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis anzunehmen (vgl. BSG, SozR 3-2400 § 14 Nr. 8 S. 17), beruht dies auf der Eigenart der dort zu beurteilenden Tätigkeit.

Der enge Zusammenhang zwischen Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit bei der Entwicklung eines Verbesserungsvorschlags wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Vorschlag sich auf ein Produkt bezieht, das vom Arbeitgeber für einen Dritten vertrieben wird und der Dritte den Vorschlag bei der Herstellung des Produkts verwertet. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber vom Hersteller durch besondere vertragliche Bindungen in den Vertrieb einbezogen ist, wie der Vertragshändler eines Fahrzeugherstellers. Hier ist allgemein davon auszugehen, daß das Ergebnis des Verbesserungsvorschlags für den Vertragshändler nützlich ist. In diesen Fällen ist nicht erforderlich, daß der Verbesserungsvorschlag unter das Arbeitnehmererfindungsgesetz fällt. Der notwendige enge Zusammenhang zwischen Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit bei der Entwicklung des Verbesserungsvorschlags besteht hier. Das LSG hat unangefochten festgestellt, daß der Kl. durch sein Beschäftigungsverhältnis bei der beigel. Vertragshändlerin in die Lage versetzt worden ist, Verbesserungsvorschläge bei der AG einzubringen, und daß die im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses gewonnenen Erfahrungen sich auf den Erfolg seines Vorschlags ausgewirkt haben. Die Kenntnisse, die er als Verkäufer über die technische Ausstattung der Fahrzeuge erworben hat, haben ihn in die Lage versetzt, Verbesserungsvorschläge zu planen und einzubringen. – Unerheblich ist es demgegenüber, daß der Verbesserungsvorschlag vom Kl. nicht in Erfüllung seiner Leistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis erarbeitet worden ist, sondern auf einer zusätzlichen Arbeitsleistung beruhte, die nicht aus der Beschäftigung geschuldet und, wie der Kl. vorträgt, außerhalb der Arbeitszeit in seinen eigenen Räumen erbracht wurde. Eine Erfindung oder ein Verbesserungsvorschlag als geistige Leistung entsteht häufig weitgehend außerhalb der Arbeitszeit und unabhängig von der Einbindung in betriebliche Abläufe.

Die Zurechnung der von der AG gezahlten Prämie zum Arbeitsentgelt steht nicht entgegen, daß die AG nicht die Arbeitgeberin des Kl. und die Beigel. auch kein Konzernunternehmen, sondern als rechtlich selbständiges Unternehmen Vertragshändlerin der AG ist. Durch § 14 I SGB IV wird das Arbeitsentgelt nicht auf Einnahmen beschränkt, die vom Arbeitgeber selbst gezahlt werden. Arbeitsentgelt können auch Leistungen eines Dritten sein. Die Rechtslage hat sich insoweit gegenüber dem früher geltenden § 160 I RVO nicht geändert, in dem der Bezug von Dritten erwähnt wurde. Der Senat hat dementsprechend zu § 14 I SGB IV bereits entschieden, daß Zuwendungen eines Autoherstellers an Mitarbeiter von Vertragshändlern Arbeitsentgelt dieser Mitarbeiter sein können (vgl. BSG, SozR 2100 § 14 Nr. 19) und die Arbeitsentgelteigenschaft für Zuwendungen bejaht, die für die Arbeitsleistung zusätzlich zum Arbeitslohn geleistet werden.

Wird das Entgelt wie hier von einem Dritten für eine zusätzliche Tätigkeit gezahlt, muß allerdings ein Zusammenhang zwischen diesem Entgelt und dem einheitlichen Beschäftigungsverhältnis bestehen. Dieser Zusammenhang ist hier gegeben. Der Kl. konnte seinen Verbesserungsvorschlag nach der Betriebsvereinbarung nur einreichen, weil er Mitarbeiter eines Unternehmens war, das mit dem Vertrieb von Fahrzeugen der Marke der AG beauftragt ist. Nur als Beschäftigter der Beigel. hat er auch die in der Betriebsvereinbarung vorgesehene Prämie erhalten. Unerheblich ist, daß der Kl. keinen Anspruch auf die Prämie hatte. Arbeitsentgelt sind nach § 14 I SGB IV auch solche Leistungen, auf die kein Anspruch besteht. Entscheidend und ausreichend ist insoweit daß die Prämie ohne die Beschäftigung bei der Beigel. nicht gezahlt worden wäre.

Am Ergebnis ändert nichts, daß die Prämie vom zuständigen Finanzamt steuerrechtlich den Einkünften aus selbständiger Arbeit zugerechnet worden ist. Die steuerrechtliche Beurteilung als Arbeitslohn oder als Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit (= Arbeitseinkommen i.S. von § 15 I SGB IV) ist für die Beurteilung der Arbeitsentgelteigenschaft im Sozialversicherungsrecht nicht maßgebend oder vorgreiflich. Ob die Beurteilung des Finanzamts steuerrechtlich zutreffend war, ist hier nicht zu entscheiden.

Vorinstanzen

LSG Celle, L 4 Kr 160/95, 24.4.1997

Rechtsgebiete

Sozialrecht

Normen

SGB IV §§ 14, 26; ArbnErfG §§ 2, 3; SGB V § 226; SGB VI § 162; AFG § 175